Am Boden …
1970: Und plötzlich bin ich total am Boden zerstört, hier in in Berlin Kreuzberg. Als sturmerprobter Rocksänger aus dem Münsterland wollte ich auch in Berlin eine Band finden. Treffen und Vorsingen. Und stell Dir vor … ich werde reihenweise von den Berliner Musikern ausgelacht, Weißt Du wie sich das anfühlt? Ich weiß es, ich bin Flüchtlingskind! Totaler Zusammenbruch, seelisch, körperlich … aber so was von heftig … Marcellino stürzt in eine fette Krise. Ich fang an zu Saufen und mich hängen zu lassen …
Diese Schwester …
Eine Kneipe in der Nachbarschaft wird mein Zweites zu Hause. Eines abends dann, am Tresen beim gefühlt zehnten Bier, setzen sich mein Kohlenhändler Max und seine Schwester Tanja neben mich … und ertragen ne ganze Zeit lang mein verzweifeltes Gebrabbel. Aber dann sagt der Max was, das bei mir eine erste Dämmerung auslöst – hinterm Horizont gehts weiter, du Blödmann. Jetzt reiß dich endlich am Riemen … hör auf mit der Sauferei und Attacke, eh … hast doch ne geile Arbeit, sagste immer … Mensch hau rein, wird schon wieder, Alter … Und jetzt ab mit dir in die Kiste, mußt morgen fit sein! Ich wäre nie zu Hause angekommen , höchstens in der nächsten Kneipe wieder. Aber Max Schwester nimmt das Ding entschlossen in die Hand. Sie bringt mich nach Hause und kümmert sich liebevoll darum, daß ich tatsächlich auch in die Kiste komme und mit den schönsten Träumen einschlafe …
Diese Schwester aber auch …!
Verführt … !
Und am nächsten Morgen quält sie mich rau, aus der Kiste, mit Kaffee und Popapo … und ab zur Arbeit bei der Berthold AG am Mehringdamm. Fotosatz Entwicklungsatelier … Forschungsarbeit für die Zukunft … da ist jetzt 110% Konzentration gefragt, es bleibt keine Sekunde für Blues und Hängenlassen. Aber der Feierabend kommt und ich bin noch schwer gefährdet. Und wieder taucht Tanja auf, sorgt hingebungsvoll für … volle Rundumbetreuung. Das Mädchen richtet mich sprichwörtlich wieder auf, Doch die Kollegen bei Berthold sind ja nicht doof, die kriegen trotzdem mit, was mit mir los ist. Und, so peinlich mir alles auch ist, sie versuchen mich abzulenken. Und das gelingt ihnen tatsächlich mit dem Hobby der Meisten im Team, der Fotografie. Richtige Spezialisten sind das. Tag für Tag höre ich ihre Geschichten und fühle ihre Begeisterung, sehe ihre Fotos, die sie rumzeigen … das steckt mich total an. Und dann eines Tages bringt einer mir ne alte Kamera mit, nur so mal für mich zum Probieren. Er entwickelt abends zu Hause sogar meinen ersten Film und macht auch noch Bildabzüge für mich … Wauh, danke danke danke … Und ja, es macht tatsächlich richtig Spaß, das Fotografieren … die Grafik-Zusatz-Kurse in Münster zeigen Wirkung … Was soll ich sagen, mein Depri-Blues wird weniger und weniger und weniger … .
Hinterm Horizont …
Und dann bin ich soweit, will ne eigene Kamera und auch ne 6×6 wie die Kollegen. Es wird eine gebrauchte Mamiya Spiegelreflex 6×6 mit Schachtsucher und sogar Wechseloptik. Dazu noch eine kleine Laboreinrichtung mit allem Zip und Zap. Und weil ich ja nicht mehr selbst auf der Bühne stehen kann, fange ich an, Livemusik in den Klubs zu fotografieren. Und meine Kollegen wollen jeden Tag von mir was hören und sehen und versorgen mich ohne Pause mit Tipps und Tricks. Meine Ergebnisse werden besser und besser. Mein Freak-Bruder Cony, der im Vorderhaus wohnt, steckt sich von meiner Begeisterung auch an, aber eine Kamera für zwei ist schlecht. Also besorgen mein Kollegen ihm eine gebrauchte Minolta Kleinbild mit Normaloptik. Jetzt begleitet er begleitet mich, wenn ich unterwegs bin. Inzwischen kann ich selbst Filme entwickeln, Papierabzüge machen, fang an, mit der Belichtung zu experimentieren. Und alles voll analog mit der Hand – nix automatisch – weder Belichtung noch Scharfstellen. Das ist echt ne Herausforderung, weil auf den Clubbühnen extrem wenig Licht ist und die Musiker immer in Bewegung sind. Geschick und Intuition sind gefragt. Aber – die Resultate werden immer besser … und tatsächlich Max eh, du Kohlenhändler meines Vertrauens …
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